14. 3. Wenn Begriffe einem das Outfit ruinieren
14. 3.
Wenn Begriffe einem das Outfit ruinieren
„Ist das Tracht oder Mode?“
Alles was grün ist, alles was bestickt ist, alles was aus Velourleder ist, alles was bei SEIDL im Geschäft hängt, alles was ein Model anhat, das vor einer Holzhütte fotografiert ist, alles was irgendwie kariert oder geblümt ist – die Definitionen davon, was als Tracht wahrgenommen wird, würden so manchen Traditionalisten schockieren. Ich bin definitiv keiner davon, deshalb bin ich auch eher erstaunt als beleidigt.
Fotos 1+2: Blumenprints, Spitze, Lederhose: Ist das schon Tracht oder trachtig schön? Beides aus der Frühling-/Sommer-Kampagne „Trachten-Welle“ von SEIDL Fotos: Julia Spicker
Die Trachten-Traumata – ich kenne sie alle: Walkjacken-Zwang als Kleinkind, das selbstgenähte Dirndl von der Oma am Firmungsfoto, das Auftragen der Lederhose vom Bruder bei Ausflügen nach Aussee; fast jeder hat so sein Binkerl zu tragen, wenn es um die alpenländische Traditionskleidung geht. Und wie bewältigt man so ein Trauma? Richtig: erstmal völlige Ablehnung bekunden. „Ich trage keine Tracht.“ Damit ist meist gemeint: Ich trage sicher nix, was so ausschaut wie das, was ich mir unter Tracht vorstelle. Das trifft sich gut, denn: Walkjanker kratzen jetzt gar nicht mehr so arg, Dirndl sind ein Fashion-Piece und Lederhosen dürfen mittlerweile auch so kombiniert werden, dass sie echt nicht nach Umtata ausschauen.
Blumenprint, Karo, Dekolleté, betonte Taille, Strohhut und auch noch ein Akkordeon vor der Holzhütte: Mehr Trachten-Look geht nicht – das Kleid stammt aber vom Fair-Wear-Label Blutsgeschwister, das sich definitiv nicht als Trachten-Marke sieht, sondern in der aktuellen Kollektion Heimatmotive zitiert. Foto: Blutsgeschwister
Wer glaubt, mit Tracht steht die Zeit still, verschließt die Augen vorm Zeitgeist.
Tracht ist voll von Design und Fashion-Elementen und umgekehrt schauen sich die innovativen Modemarken längst unendlich viele traditionelle Prints und Details ab.
Heimatliebe wird in allen Magazinen großgeschrieben, Flechtfrisuren sind en vogue und Almkitsch ganz ganz hip. Der Übergang zwischen Tracht und modischem Trend ist fließend, alle inspirieren sich gegenseitig und die Grenzen sind nur durch den guten Geschmack bestimmt. Im besten Fall ist plötzlich trachtig inspirierte Kleidung ein Anzieh-Kleinod für die anregende, zeitgemäße und endlich mal echt individuelle Garderobe.
Tracht kommt ja angeblich von Tragen – aber ich glaube auch ein bisschen von Trauen. Vertrauen Sie darauf, wie sich’s anfühlt, wenn Sie sich anziehen. Kein Label und keine Kategorie im Kopf kann bedeutsamer sein als der Effekt, den das Outfit erzielt.